Whole Exome Sequencing (WES) / Whole Genome Sequencing (WGS)

Dr. rer. nat. Steffen Lott, Dr. med. Imma Rost, Dr. med. Konstanze Hörtnagel

Wissenschaftlicher Hintergrund

1. Whole Exome Sequencing (Exom-Sequenzierung)

WES ist flexibel einsetzbar für verschiedene Indikationen, insbesondere für ursächlich ungeklärte Entwicklungsstörungen, aber auch für alle anderen Erkrankungen, die durch genetische Varianten in mehreren verschiedenen Genen bedingt sein können. 

Da Entwicklungsstörungen sehr oft sporadisch, d.h. als Einzelfall in der Familie auftreten, ist es naheliegend, Neumutationen in Genen, die z.B. bedeutsam für die Entwicklung und Verschaltung von Neuronen sind, als häufige Ursache zu vermuten. Zahlreiche Studien in den letzten Jahren, in denen Patienten mit schwerer Intelligenzminderung (IQ<50) mittels Hochdurchsatz-Techniken wie der Exom-Sequenzierung untersucht wurden, konnten bestätigen, dass dominante Neumutationen offenbar zu einem großen Teil zur Ursache der schweren Intelligenzminderung beitragen (z. B. Vissers L. et al, Nat Rev Genet, 2016; Wieczorek D. Med Genet, 2018). Man geht daher nach diesen Studien davon aus, dass bis zu 60% der schweren, nicht-syndromalen Entwicklungsstörungen durch de novo Punktmutationen und kleine Indels verursacht werden, wobei eine große genetische Heterogenität zu beobachten ist. Aber auch für Entwicklungsstörungen mit autosomal-rezessivem oder X-chromosomalem Erbgang ist die WES inzwischen zur Methode der Wahl für die erweiterte Diagnostik geworden (Harripaul R. Cold Spring Harb Perspect Med, 2017; Tarlungeanu and Novarino Experimental & Molecular Medicine, 2018).

Um bei der aufwendigen Auswertung vererbte genetische Varianten erkennen zu können und gegebenenfalls deren Segregation in die Analyse miteinzubeziehen, sollte bei dieser Fragestellung vorzugsweise eine Exom-Trio-Analyse durchgeführt werden, d.h. Proben der Eltern werden mit einbezogen, um Varianten, die beim Indexpatienten gefunden werden, mit den Eltern abgleichen zu können. Im Vergleich zu einer Singleton-Analyse erleichtert die Trioanalyse die Auswertung erheblich und erhöht die Detektionsrate absolut um bis zu 16% (Farwell KD et al, Genet Med, 2015), was überwiegend durch die dann einfache Identifizierung der de novo-Varianten erklärt werden kann. Entscheidend ist darüber hinaus, dass detaillierte klinische Informationen über den Indexpatienten vorliegen. Diese sollten als HPO-Terms (HPO: Human Phenotype Ontology) vorliegen, da es möglich ist, auf Grundlage dieser HPO-Terms eine Auswahl von Genen zusammenzustellen, die bei der Merkmalskombination des jeweiligen Indexpatienten ursächlich sein können.

Die diagnostische Vorgehensweise bei Entwicklungsstörungen empfiehlt sich wie im folgenden Diagramm dargestellt.

Entwicklungsstörung (IQ<70)VerdachtsdiagnoseZieldiagnostikChromosomenanalyse/FISH/CMA/Molekulargenetikkeine Verdachtsdiagnoseunspezifische EntwicklungsstörungDiagnostik: "Globaltests"ChromosomenanalyseChromosomaler MicroarrayFragiles Xggf. MGPS (syndromale)EntwicklungsstörungenExom-Trio-Analyse (WES)Genom-Sequenzierung (WGS)wenn unauffälligwenn unauffällig ggf.wenn unauffälligzukünftig

Abb.: Mögliche genetische Abklärung einer Entwicklungsstörung (IQ < 70)


Vor der Untersuchung mit WES muss immer eine genetische Beratung erfolgen. Inhalt der Beratung ist dabei insbesondere auch, wie mit zusätzlichen Informationen, die neben den indikationsbezogenen bei der Untersuchung einer Vielzahl von Genen anfallen können, umgegangen werden soll. Bei Minderjährigen dürfen entsprechend dem GenDG Gene, deren Varianten ursächlich für spätmanifestierende Erkrankungen sein können, nicht in die Auswertung einbezogen werden.

Zusätzlich zur Diagnostik von Entwicklungsstörungen oder auch anderen „Seltenen Erkrankungen“ bietet WES die Möglichkeit, die erfolgte Diagnostik zu einem späteren Zeitpunkt zu erweitern oder zu aktualisieren. Einmal als Datensatz erstellt, lassen sich die Sequenzdaten für jedes im „Whole Exome“ enthaltene Gen auswerten. Dies kann wünschenswert sein, wenn auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse weitere Gene als ursächlich für die ursprüngliche Indikation bekannt werden oder auch wenn aufgrund weiterer klinischer Symptome die Indikation differentialdiagnostisch erweitert werden soll.

Darüber hinaus kann die WES sehr flexibel und individuell bei Indikationen eingesetzt werden, für die technisch keine Panel-Analyse angeboten wird (indikationsspezifisches Exom). Hierbei definiert man zunächst entsprechend der klinischen Symptome z.B. über HPO-Terms ein virtuelles Genpanel. In die Auswertung der WES-Daten werden dann ausschließlich diese, mit der jeweiligen Symptomatik/Erkrankung assoziierten Gene einbezogen.

Ebenso wie die Erweiterung oder Aktualisierung eines WES können virtuelle Panels auf Basis einer WES nur nach Rücksprache erfolgen.

2. Whole Genome Sequencing (Genom-Sequenzierung)

Im Vergleich zum Whole Exome Sequencing (WES), bei dem alle proteincodierenden Bereiche analysiert werden, handelt es sich beim Whole Genome Sequencing (WGS) um die Sequenzierung des gesamten Genoms, d.h. auch aller nicht-codierenden Regionen (weitere Informationen siehe auf www.illumina.com). Der Vorteil des WGS liegt vor allem darin, dass keine Anreicherungsartefakte entstehen, da es sich um die direkte Analyse einer aus genomischer DNA hergestellten Library handelt. Hierdurch wird auch der Nachweis von Copy Number Variations (CNVs) und struktureller Varianten (SVs) vereinfacht. Aufgrund der Kosten, der Datenqualität und vor allem der zu erwartenden besonders hohen Anzahl von unklaren Varianten hat sich der Einsatz von WGS in der Routine-Diagnostik jedoch noch nicht durchgesetzt. Eine genetische Beratung nach den Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) ist bei WGS kaum noch möglich. WGS wird derzeit daher vor allem in der Erforschung von seltenen Erkrankungen und in der Onkologie (Tumorgenome) eingesetzt.

Literatur

Harripaul et al. 2017, Cold Spring Harb Perspect Med 7:a026864 / Vissers et al. 2016, Nat Rev Genet 17:9 / Farwell et al. 2015, Genet Med 17:578 / Wieczorek 2018, Med Gen 30(3): 318 / Klein und Rost 2015, Bundesgesundheitsbl 58:113 / Klein et al. 2014, J Lab Med 38:221 / Gillissen et al. 2014, Nature 511:344 / Musante et al. 2014, Trends in Genetics 30:32 / de Ligt, J et al. 2012, NEJM 367:1921 / Rauch A. et al. 2012, Lancet 380:1674 / Sharp 2011, Genet Med 13:191 / Cooper et al. 2011, Nat Genet 43:838 / Vissers et al. 2010, Nat Genet 42:1109

Anforderung WES

Material

  • EDTA-Blut
  • DNA aus Blut
  • Chorionzotten
  • Amniozyten
  • Fruchtwasser
  • Nabelschnur-Blut (EDTA)

Haben Sie Fragen? Sie können uns gerne jederzeit per E-Mail kontaktieren: 
exom-support@medicover.com