Androgeninsensitivitätssyndrom (AIS)
Dr. rer. nat. Annett Wagner, Dr. med. Dagmar Wahl
Wissenschaftlicher Hintergrund
Das Androgeninsensitivitätsyndrom (AIS) ist bei einem 46,XY-Karyotyp charakterisiert durch Feminisierung des äußeren Genitales bei der Geburt, eine gestörte Pubertätsentwicklung sowie eine daraus resultierende Infertilität. Die Häufigkeit wird in der kaukasischen Bevölkerung mit 1:20.000 - 40.000 angegeben. Die durch unterschiedliche Fehlfunktionen in der Androgenwirkung hervorgerufene Störung der Geschlechtsentwicklung wird in drei Phänotypen unterteilt:
- Komplettes AIS (CAIS) mit weiblichem Phänotyp
- Partielles AIS (PAIS) mit überwiegend weiblichem oder männlichem Phänotyp
- Minimales oder mildes AIS (MAIS) mit männlichem Phänotyp
Patienten mit CAIS haben weibliche äußere Genitalien, meist mit blind endender Vagina bei männlichem Karyotyp und fallen in der Pubertät durch ein Ausbleiben der Pubes- und Axillarbehaarung bei vorhandenem Brustwachstum auf. 1/3 der Betroffenen entwickelt rudimentäre Tuben, und als Ausdruck prolabierter Gonaden treten bilaterale Leistenhernien gehäuft auf. Patienten mit PAIS zeigen eine hohe phänotypische Variabilität, die von überwiegend weiblichem äußeren Genitale mit Klitorishypertrophie bis zu überwiegend männlichem äußeren Genitale mit Mikropenis, Hypospadie und Kryptorchismus reicht. Bei Patienten mit MAIS liegt ein äußeres männliches Genitale z. T. mit minimalen Auffälligkeiten wie koronarer Hypospadie mit oder ohne Einschränkung der Fertilität vor.
Das AIS wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Häufigste Ursache sind Missense-Varianten im Androgenrezeptor-Gen (AR), die zur Funktionsstörung des AR-Transkriptionsfaktors führen. Die Detektionsrate ursächlicher Variantenliegt bei CAIS-Patienten bei 95%, bei PAIS-Patienten unter 50% und ist bei MAIS-Patienten noch niedriger. Mehr als 800 beschriebene Varianten verteilen sich über das ganze Gen, von denen fast 450 als pathogen klassifiziert und überwiegend in der Liganden-Bindungsdomäne lokalisiert sind. Das AIS wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Nachkommen von heterozygoten Müttern erhalten die Anlage mit 50%iger Wahrscheinlichkeit.
Zusätzlich enthält das AR-Gen einen CAG-Repeat von ca. 12-35 Wiederholungen. Eine Repeat-Expansion verursacht die Spinobulbäre Muskelatrophie (Kennedy Disease).
AIS gehört zur heterogenen Gruppe der Geschlechtsdifferenzierungsstörungen (disorders of sex development, DSD). Bei 46,XY-DSD wurden ursächliche Varianten in einer Reihe weiterer Gene beschrieben: DHH, DMRT1, HSD17B3, HSD3B2, MAMLD1, MAP3K1, NR0B1, NR5A1, SOX9, SRD5A2, SRY, TSPYL1, WNT4, WT1 und WWOX. Bei unauffälligem männlichen Karyotyp kann die Untersuchung dieser Gene in Rahmen einer Multi-Gen-Panel-Sequenzierung (NGS) erfolgen.
Literatur
Ahamadifard et al. 2019, Andrologia, e13250 / Mognan et al. 2015, Best Pract Res Clin Endocrinol & Metab 29:569 / Gottlieb et al. 2012, Update Hum Mutat 33: 887 / Deeb et al. 2008, J Clin Endocrinol Metab 93:3691 / Galani et al. 2008, Hormones 7:217 / Gottlieb 2004, Reprod Biomed Online 10:42 / Wieacker et al. 1998, Reproduktionsmedizin 14:215
Untersuchungsauftrag B4
Fertilität/Sterilität
(2 Seiten, DIN A4)
V. a. Androgeninsensitivitätssyndrom (AIS)
V. a. 46,XY-DSD
Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben
Androgeninsensitivitätsyndrom:
- Diagnose: Androgeninsensitivitätssyndrom (ICD-10 Code: [E34.59])
- Auftrag: molekulargenetische Diagnostik AR
46,XY-DSD:
- Diagnose: 46,XY-DSD (ICD-10 Code: [Q56.-])
- Auftrag: molekulargenetische Diagnostik Geschlechtsdifferenzierungsstörungen
Hinweis:
Schriftliche Einwilligungserklärung gemäß GenDG erforderlich
2 ml EDTA-Blut
4 Wochen