Neurofibromatose Typ 1 (NF1)

Dr. rer. nat. Karin Mayer

Wissenschaftlicher Hintergrund

Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1, M. Recklinghausen) gehört mit einer Inzidenz von 1:3.000 zu den häufigstenerblichen neurologischen Erkrankungen, die mit gutartigen und bösartigen Tumoren des Nervensystems assoziiert ist. Charakteristisch sind kutane und subkutane Neurofibrome, die typischerweise in der Adoleszenz auftreten, Café-au-lait-Flecken der Haut, die sich meist in der ersten Lebensdekade manifestieren, sommersprossenartige Flecken in der Achselhöhle oder in der Leiste und Lisch-Knötchen der Iris. Seltener treten schwerwiegende klinische Manifestationen wie plexifome Neurofibrome, Optikusgliome, Neurofibrosarkome und Knochenveränderungen auf. Die diagnostischen Kriterien für NF1 wurden 1988 von den National Institutes of Health (NIH) erarbeitet. NF1 zeigt eine vollständige Penetranz bei hoher phänotypischer Variabilität. Die Vererbung ist autosomal-dominant, bei 50% der Patienten besteht eine positive Familienenamnese, während 50% der Erkrankungen durch Neumutationen entstehen.

Genetische Ursache für NF1 sind pathogene loss-of-function Varianten im NF1-Gen. Die Varianten sind über nahezu alle Exons bzw. angrenzende Intronsequenzen verteilt und umfassen alle Mutationstypen, wobei translationale Stopmutationen mit 80% am häufigsten vorkommen. 22-30% der Nukleotidveränderungen beeinflussen den Spleißvorgang, 1/3 davon sind alleine mit DNA-basierten Methoden nicht nachzuweisen. In mindestens 5% der Patienten liegt eine Mikrodeletion Typ 1 (1,4 Mb), Typ 2 (1,2 Mb), Typ 3 (1,0 Mb) oder eine atypische Mikrodeletion im Chromosom 17q11.2 vor, die das NF1-Gen beinhaltet. Diese Mikrodeletionen sowie intragene Deletionen, die ein oder mehrere Exons betreffen, machen etwa 2% aller Varianten im NF1-Gen aus. Duplikationen des gesamten NF1-Gens und der flankierenden genomischen Region führen im Gegensatz zu Mikrodeletionen nicht zu einem charakteristischen NF1-Phänotyp. Die betroffenen Patienten können eine Entwicklungsverzögerung und eine Epilepsie aufweisen. Die Mutationsrate im NF1-Gen ist mit 1:10.000 eine der höchsten im menschlichen Genom. Bei der Hälfte der Patienten liegt eine Neumutation vor. Die Funktion des NF1-Genprodukts Neurofibromin ist die eines Tumorsuppressors, indem durch die Aktivierung einer Ras-GTPase die zelluläre Proliferation kontrolliert wurd.

Mit einer Kombination mehrerer Analysetechniken, die eine Sequenzanalyse der codierenden Regionen, eine Deletions-/Duplikationsanalyse und eine cDNA-Analyse beinhalten, können bei mehr als 95% der Patienten, bei denen die diagnostischen Kriterien des NIH Consensus Development Conference Statement für Neurofibromatose Typ 1 (NF1) erfüllt sind, pathogene Varianten im NF1-Gen nachgewiesen werden. Insbesondere cDNA-Analysen sind allerdings nicht Bestandteil der Routinediagnostik.

Differentialdiagnostisch zu NF1 ist das Legius-Syndrom zu nennen. Bei Patienten mit Legius-Syndrom sind die diagnostischen NIH-Kriterien ebenfalls erfüllt. Ein charakteristischer Unterschied zu NF1 ist das Fehlen von Lisch-Knötchen der Iris und Neurofibromen und im Gegensatz dazu das Auftreten von subkutanen Lipomen im Erwachsenenalter. Molekulare Ursache des Legius-Syndroms sind heterozygote Varianten im SPRED1-Gen.

Eine weitere Differenzialdiagnose in Bezug auf die Hautmanifestationen stellt das konstitutionelle Mismatch-Repair-Defizienz-Syndrom (CMMRDS) dar. CMMRDS ist ein seltenes, kindliches Tumorprädispositionssyndrom mit klinisch überlappenden Symptomen zu NF1 wie Cafe-au-lait Flecken, Freckling, und Lisch-Knötchen. Die Erkrankung ist charakterisiert durch das Auftreten verschiedener Tumore wie z.B. Hirntumore, Tumore des Gastrointestinaltrakts, hämatologischen Neoplasien oder auch seltenerer Tumore (z.B. Sarkome). Molekulare Ursache des autsomal-rezessiv vererbten CMMRDS sind homozygote oder kombiniert heterozygote pathogene Varianten in einem der vier Mismatch-Repair-Gene MLH1, MSH2, MSH6 oderPMS2. Ein Hinweis auf CMMRDS ist das Vorliegen von klinischen Symptomen eines Lynch-Syndroms bei einem oder beiden Elternteilen.

Bis zu 10% aller pathogenen Varianten im NF1-Gen liegen in Form von somatischen Mosaiken vor, die mittels Deep Sequencing detektiert werden können

Bei familiären Tumorerkrankungen sollte jede genetische Diagnostik mit dem Angebot einer genetischen Beratungverbunden sein. Bei einer prädiktiven Diagnostik muss vor der Untersuchung und nach Vorliegen des Resultats eine genetische Beratung erfolgen (§10, Abs2 GenDG). Gemäß den Empfehlungen der Fachgesellschaften sollte eine psychotherapeutische Betreuung vor, während und nach der Untersuchungsphase bestehen.

Literatur

Friedman In: Pagon RA, Adam MP, Ardinger HH, et al, eds. GeneReviews® (Last Revision: June 6, 2019) / Kehrer-Sawatzki et al. 2017, Hum Genet 136:349 / Wimmer et al. 2017, Clin Genet 91:507 / Evans et al. 2016, EBioMedicine 7:212 / Pasmant et al. 2015, Eur J Hum Genet 23:596 / van Minkelen et al. 2014, Clin Genet 85:318 / Sabbagh et al. 2013, Hum Mutat 34:1510 / Vogt et al. 2012, Hum Mutat 33:1599 / Valero et al. 2011, J Mol Diagn 13:113 / Messiaen and Wimmer 2008, In: Kaufmann D, ed. Monographs in Human Genetics. Vol 16:63 / NIH Consensus Development Conference Statement: neurofibromatosis. Bethesda, Md., USA, July 13-15, 1987, Neurofibromatosis 1:172

V.a. und DD NF1, positive Familienanamnese

Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben

Hinweis:
Schriftliche Einwilligungserklärung gemäß GenDG erforderlich

1 ml EDTA-Blut

Mutationssuche: 4 Wochen
Deep Sequencing:auf Anfrage