Primäre Myelofibrose (PMF)
Dipl.-Ing. (FH) Tanja Hinrichsen
Wissenschaftlicher Hintergrund
Die PMF gehört zu den myeloproliferativen Neoplasien und ist eine hämatopoetische Stammzellerkrankung mit Fibrose des Knochenmarkraumes und sukzessiver Verdrängung des hämatopoetisch aktiven Knochenmarks. Vorherrschend ist eine Proliferation der Megakaryozyten und der Granulozyten im Knochenmark. Sie entwickelt sich dabei allmählich aus einer frühen präfibrotischen Phase (präPMF), charakterisiert durch hyperzelluläres Knochenmark ohne oder mit minimaler Retikulinfibrose, in eine fibrotische Phase mit ausgeprägter Retikulin- oder Kollagenfibrose und häufig Osteosklerose.
Das fortgeschrittene Stadium der PMF ist klinisch gekennzeichnet durch eine deutliche Anämie, grenzwertige bis milde Leukozytose oder Leukopenie, leichte Thrombozytose oder Verringerung der Thrombozytenzahl, hohe Serum-LDH-Level, das Vorhandensein von peripheren Erythro- und Myeloblasten (Leukoerythroblastose), tropfenförmigen Erythrozyten und Splenomegalie. Für den klinischen Verlauf ist eine Unterscheidung von Essentieller Thrombozythämie (ET) und PräPMF wichtig. Eine Post-MF entwickelt sich bei 25-50% der Patienten mit Polyzythämia vera (PV) und bei 2-3% der Patienten mit ET. Bei V.a. PMF sollte zunächst eine PV, ET, CML oder andere myeloproliferative Neoplasie ausgeschlossen werden.
Für die Diagnose einer PMF, präfibrotische Phase oder fibrotische Phase müssen alle drei Hauptkriterien und mindestens ein Nebenkriterium der entsprechenden WHO-Kriterien erfüllt sein.
Somatische Varianten bei MPN, inklusive PMF, lassen sich in „Treiber“varianten und „andere“ Varianten klassifizieren. Zu den „Treiber“varianten zählen Varianten in JAK2, MPL und CALR, die sich in 90% der PMF-Patienten detektieren lassen. Die Variante JAK2 Val617Phe in Exon 14 wird in etwa 50-60% der PMF-Patienten nachgewiesen und führt zu einer konstitutiven Aktivierung des JAK-STAT-Signalweges.
In ca. 8% der PMF-Patienten können Varianten in Exon 10 von MPL, die hauptsächlich die Aminosäure Trp515 betreffen, nachgewiesen werden. Die häufigsten Varianten an MPL-Trp515 führen zu einem Aminosäureaustausch von Tryptophan nach Leucin (Trp515Leu), Lysin (Trp515Lys) oder Alanin (Trp515Ala) und somit ebenfalls zu einer konstitutiven Aktivierung des JAK-STAT-Signalweges.
Weitere ca. 30% der PMF-Patienten tragen Varianten in Exon 9 von CALR, die mit einem jüngeren Alter, höheren Thrombozytenwerten und niedrigerer Frequenz an Anämie, Leukozytose und Spliceosom-Varianten assoziiert sind. Bei den CALR-Varianten handelt es sich um verschiedene somatische Deletions- bzw. Insertionsvarianten, die zu einem Frameshift und somit zu einem spezifischen, alternativen Leserahmen führen. Man unterscheidet dabei vorrangig Typ 1- (52 bp-Deletionen, p.(L367fs*46)) bzw. Typ 1-ähnliche Varianten und Typ 2- (5 bp-Insertion, p.(K385fs*47)) bzw. Typ 2-ähnliche Varianten in CALR, wobei in PMF Typ 2- bzw. Typ 2-ähnliche Varianten mit einer erhöhten Risikogruppe, zirkulierendem Blastenzellanteil, Leukozytenzahl und vermindertem Überleben assoziiert sind. Bemerkenswert ist der Überlebensvorteil von PMF-Patienten mit CALR Typ 1- bzw. Typ 1-ähnliche Varianten gegenüber PMF-Patienten mit anderen Genotypen. CALR codiert für ein Ca2+-bindendes Chaperon des endoplasmatischen Retikulums.
PMF-Patienten, die keine Variante in JAK2, MPL oder CALR aufweisen, werden als triple-negativ bezeichnet. In Einzelfällen kann bei diesen Patienten eine SH2B3-Variante nachgewiesen werden. SH2B3 spielt eine entscheidene Rolle in der Hämatopoese durch negative Regulation der JAK2-Aktivierung. Die häufigsten Varianten finden sich in Exon 2 des SH2B3-Gens, gefolgt von Exon 8.
Allgemein konnte gezeigt werden, dass PMF-Patienten mit Varianten in einem dieser Gene - ASXL1, EZH2, SRSF2, IDH1, IDH2, U2AF1 - eine IPSS/DIPSS-plus unabhängige molekulare Hochrisikogruppe mit einem kürzeren Gesamtüberleben und höherem AML-Risiko darstellen als PMF-Patienten ohne Varianten in diesen Genen. Dabei zeigen CALR+/ASXL1- Patienten das längste Überleben, während CALR-/ASXL1+ Patienten das kürzeste Überleben zeigten.
Varianten in RAS und CBL sind mit einem schlechten Ansprechen auf eine Therapie mit Ruxolitinib, schlechten prognostischen Eigenschaften sowie einem vermindertem Überleben assoziiert.
Zytogenetische Veränderungen sind bei ca. 40% der Patienten nachweisbar. Das Vorliegen einer del(13)(q12-22), einer der(6)t(1;6)(q21-23;p21.3) oder einer Trisomie 9 ist dabei stark mit einer PMF assoziiert, aber nicht pathognomonisch für eine PMF.
Es lassen sich drei zytogenetische Risikogruppen unterscheiden:
- günstig: normaler Karyotyp, Einzelaberrationen von 20q-, 13q-, +9, Chromosom 1 Translokation/Duplikation und Veränderungen der Geschlechtschromosomen inkl. –Y
- sehr ungünstig (very high risk (VHR)): Einzel- oder Mehrfachaberrationen von -7, inv(3)/3q21, i(17q), 12p-/12p11.2, 11q-/11q23, Trisomien der Autosomen (ohne +8, +9)
- ungünstig: alle anderen Veränderungen.

Auf Basis dieser Veränderungen wurden drei neue Prognosemodelle bei der PMF vorgeschlagen:
MIPSS70 (mutation-enhanced prognostic scoring system for transplant-age patients) für Patienten 70 Jahre und jünger | |
Berechnung | |
2 Punkte jeweils für | |
Leukozyten > 25 x 109/L, | |
Thrombozyten < 100 x 109/L | |
Anwesenheit ≥ 2 Hochrisikovarianten speziell ASXL1, SRSF2, EZH2, IDH1, IDH2 | |
1 Punkt jeweils für | |
Abwesenheit einer CALR Typ I/ähnlichen Variante | |
Anwesenheit einer Hochrisikovariante | |
Hämoglobin < 10 g/dL | |
zirkulierende Blasten ≥ 2% | |
Knochenmarkfibrose ≥ 2 | |
konstitutionelle Symptome | |
Interpretation | |
0-1 Punkt | MIPSS70 niedrig, medianes Überleben 27,7 Jahre - unerreicht |
2-4 Punkte | MIPSS70 intermediär, medianes Überleben 6,3-7,1 Jahre |
≥ 5 Punkte | MIPSS70 hoch, medianes Überleben 2,3-3,1 Jahre |
MIPSS70+ version 2.0 | |
Berechnung | |
4 Punkte für | Hochrisikokaryotyp (VHR) |
3 Punkte jeweils für | |
ungünstiger Karyotyp | |
Anwesenheit ≥ 2 Hochrisikovarianten speziell ASXL1, SRSF2, EZH2, IDH1, IDH2, U2AF1 Gln157 | |
2 Punkte jeweils für | |
Anwesenheit einer Hochrisikovariante | |
Abwesenheit einer CALR Typ I/ähnlichen Variante | |
konstitutionelle Symptome | |
Hämoglobin < 8 g/dL (Frauen) oder < 9 g/dL (Männer) | |
1 Punkt jeweils für | |
Hämoglobin 8-9,9 g/dL (Frauen) oder 9-10,9 g/dL (Männer) | |
zirkulierende Blasten ≥ 2% | |
Interpretation | |
0 Punkte | MIPSS70+ sehr niedrig, medianes Überleben unerreicht |
1-2 Punkte | MIPSS70+ niedrig, medianes Überleben 16,4 Jahre |
3-4 Punkte | MIPSS70+ intermediär, medianes Überleben 7,7 Jahre |
5-8 Punkte | MIPSS70+ hoch, medianes Überleben 4,1 Jahre |
≥ 9 Punkte | MIPSS70+ sehr hoch, medianes Überleben 1,8 Jahre |
Online Score Calculator: http://www.mipss70score.it/
GIPSS (genetically-inspired international prognostic scoring system) | |
Berechnung | |
2 Punkte für | Hochrisikokaryotyp (VHR) |
1 Punkt jeweils für | |
ungünstiger Karyotyp | |
Abwesenheit einer CALR Typ I/ähnlichen Variante | |
Anwesenheit einer Variante in ASXL1 | |
Anwesenheit einer Variante in SRSF2 | |
Anwesenheit einer U2AF1 Gln157-Variante | |
Interpretation | |
0 Punkte | GIPSS niedrig, medianes Überleben 26,4 Jahre |
1 Punkt | GIPSS intermediär-1, medianes Überleben 8 Jahre |
2 Punkte | GIPSS intermediär-2, medianes Überleben 4,2 Jahre |
≥ 3 Punkte | GIPSS hoch, medianes Überleben 2 Jahre |
GIPSS hoch korreliert dabei immer mit MIPSS70+ version2.0 sehr hoch und hoch und GIPSS niedrig immer mit MIPSS70+ version2.0 sehr niedrig und niedrig.
GIPSS hoch korreliert dabei immer mit MIPSS70+ version2.0 sehr hoch und hoch und GIPSS niedrig immer mit MIPSS70+ version2.0 sehr niedrig und niedrig.

Literatur
Tefferi 2020, Am J Hematol doi: 10.1002/ajh.26050 / Swerdlow, Campo, Harris, Jaffe, Pileri, Stein, Thiele (Eds), 2017, WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (Revised 4th edition), Chapter 2:44 / Tefferi et al. 2018, Am J Hematol 93:1551 / Tefferi et al. 2019, Am J Hematol 94:133 / Tefferi et al. 2018, Leukemia 32:1189
Untersuchungsauftrag
C2 Hämatoonkologie
(4 Seiten, DIN A4)
V.a. und DD Primäre Myelofibrose
Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben
- Diagnose/Verdachtsdiagnose: Primäre Myelofibrose (PMF) (ICD-10 Code: [D47.4])
- Auftrag: Zytomorphologie, Chromosomenanalyse, FISH-Analyse, quantitativer Nachweis von JAK2 Val617Phe, MPN/PMF-Panel, Einzelmarker-Analyse (Nennung des Markers notwendig), humangenetisches Gutachten
Zytogenetische Analyse:
mind. 5 ml Heparin-Knochenmark/-Blut
Molekulargenetische Analyse:
3 ml EDTA-Knochenmark/-Blut
Zytomorphologie: 2-5 Tage
FISH-Analyse: 1 Tag
Chromosomenanalyse: 5-7 Tage
Panel/Einzelmarker-Analyse: 5-7 Tage
ddPCR: 2 Tage