Myelodysplastische Neoplasien (MDS)

Dipl.-Ing. (FH) Tanja Hinrichsen

Wissenschaftlicher Hintergrund

MDS repräsentieren eine heterogene Gruppe myeloider Neoplasien, die durch eine abnorme Differenzierung und Reifung myeloider Zellen, Störungen des Knochenmarks und eine genetische Instabilität mit erhöhtem Risiko für eine Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML) charakterisiert sind. Die ineffektive Hämatopoese manifestiert sich durch eine morphologische Dysplasie und durch periphere Zytopenie(n). MDS können sowohl de novo als auch nach Therapie oder sekundär auftreten und finden sich gehäuft bei älteren Menschen (Inzidenz bei über 70-jährigen 20-50:100.000/Jahr). Der Leitbefund ist meist eine Anämie, oft auch Bi- oder Panzytopenie. Während das Knochenmark oft normo- oder sogar hyperzellulär ist, sind ca. 10 % der Fälle hypozellulär. Diagnostisch wegweisend ist eine morphologische Dysplasie einer oder mehrerer Zellreihen, wobei mindestens 10% aller Zellen einer Zellreihe (erythroide Zellen, Neutrophile und ihre Vorläufer, Megakaryozyten) eindeutige Dysplasiezeichen aufweisen müssen. Eine Dysplasie von >10% kann jedoch auch bei einigen normalen Personen sowie bei nicht-neoplastischen Gründen einer Zytopenie auftreten, weshalb auch immer an eine reaktive Ursache gedacht werden sollte.  Zusätzlich sollte mindestens eine Zytopenie  (Hämoglobin <10 g/dL, Thrombozyten <100x109/L, absolute Neutrophilenanzahl <1.8x109/L) vorliegen. Zytomorphologisch sollte zudem eine möglichst exakte Bestimmung des peripheren und medullären Blastenanteils erfolgen. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des IPSS-R ist eine exakte Angabe des medullären Blastenanteils unter prognostischen Gesichtspunkten nötig (0-2% vs. 3-4% vs. 5-10% vs. 11-19%).

MDS werden nach MDS mit definierten genetischen Veränderungen und MDS, morphologisch bestimmt gruppiert.  Zu MDS mit definierten genetischen Veränderungen zählen MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) sowie isolierter 5q Deletion (MDS-5q), MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) und SF3B1-Variante (MDS-SF3B1) sowie MDS mit biallelischer TP53-Inaktivierung (MDS-biTP53). Dabei ersetzt das Vorliegen einer SF3B1- oder TP53-Variante (nicht Multi-Hit) nicht generell die Diagnose MDS-5q. MDS-SF3B1 enthalten >90% der MDS mit >= 5% Ringsideroblasten. Sollten >=15% Ringsideroblasten, aber keine SF3B1-Variante vorliegen, kann alternativ der Begriff MDS mit wenig Blasten und Ringsideroblasten verwendet werden. Pathogene TP53-Varianten (Sequenzvarianten, Deletionen, Kopienzahl-neutraler Verlust der Heterozygosität) können in 7-11% der MDS-Patienten detektiert werden, wobei etwa zwei Drittel der Patienten mehrere TP53-Varianten (Multi-Hit) aufweisen, die meist biallelisch vorliegen und zu einem Verlust des Wildtyp p53-Proteins führen. Liegt eine Varianten-Allel-Frequenz (VAF) >50% vor, kann, wenn eine Keimbahnvariante ausgeschlossen ist, von einem Kopienzahlverlust des anderen Allels oder eines Kopienzahl-neutralen Verlust der Heterozygosität ausgegangen werden. MDS-biTP53 haben>90% der Fälle komplexe, meist sehr komplexe Karyotypen und zählen daher zur Hochrisikogruppe im IPSS-R. MDS, morphologisch bestimmt werden in drei Hauptgruppen unterteilt: MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) (MDS-LB) , hypoplastisches MDS (MDS-h) und MDS mit erhöhten Blasten (MDS-IB). Letztere unterscheiden sich in MDS-IB1 (5-9% im Knochenmark oder 2-4% im peripheren Blut), MDS-IB2 (10-19% im Knochenmark oder 5-19% im peripheren Blut oder Auer-Stäbchen) und MDs mit Fibrose (MDS-f)(10-19% im Knochenmark oder 5-19% im peripheren Blut).

Tab.: WHO-Klassifikation der myelodysplastischen Syndrome 2022


Die Zytogenetik des Knochenmarks ist fester Bestandteil der MDS-Diagnostik, da zytogenetische Veränderungen wichtige Hinweise zur Klassifizierung, Prognose und Behandlung liefern können. Chromosomale Veränderungen können bei etwa der Hälfte der Patienten mit MDS und der Mehrheit der Patienten mit Therapie-assoziiertem oder sekundärem MDS detektiert werden. Zu den häufigsten Veränderungen bei Patienten mit MDS zählen interstitielle Deletionen im langen Arm von Chromosom 5 (5q-) (30%), Trisomie 8 (19%) und 7q- oder Monosomie 7 (15%). Dabei gilt die del(5q) als einzige zytogenetische Veränderung, die einen spezifischen MDS-Subtyp, MDS-5q, definiert. Zusätzlich spielt die Zytogenetik eine große Rolle im IPSS-R, der fünf zytogenetisch prognostische Gruppen aufweist:

  • Gruppe A: sehr gute Prognose (-Y, del(11q))
  • Gruppe B: gute Prognose (normaler Karyotyp, del(5q), del(12p), del(20q), Doppel-Klon mit del(5q) ohne Chromosom 7 Veränderung)
  • Gruppe C: intermediäre Prognose (del(7q), +8, +19, i(17q), andere Einzel- oder Doppel-Klone)
  • Gruppe D: schlechte Prognose (-7, inv(3)/t(3q)/del(3q), Doppel-Klon mit -7/del(7q), komplex (3 Aberrationen))
  • Gruppe E: sehr schlechte Prognose (komplex (>3 Aberrationen))

Die wichtigsten Veränderungen (z.B. Deletion 5q oder Trisomie 8) lassen sich mittels FISH nicht nur an Chromosomen, sondern auch an Interphasezellkernen nachweisen und können dadurch auch in kleineren Populationen von klonalen Tumorzelllinien detektiert werden. Zusätzlich ist bei ca. 5-20% der Patienten eine Chromosomenanalyse aufgrund einer Punctio sicca oder unzureichenden Anzahl an Metaphasen nicht verfügbar, so dass bei diesen Patienten eine FISH-Analyse für die häufigsten Veränderungen an CD34+ angereicherten Zellen des peripheren Blutes erfolgen kann.

Durch den Einsatz von Next-Generation-Sequencing (NGS) können in ca. 90% der MDS-Patienten wiederkehrende somatische Varianten detektiert werden. Dabei hat die Anzahl der gefundenen Varianten einen unabhängigen prognostischen Einfluß. Jedoch können sich diese erworbenen Varianten auch in den hämatopoetischen Zellen offenbar gesunder älterer Personen ohne MDS finden, sind aber mit einer geringeren Variantenlast von 10-20% vertreten. Einige dieser Personen mit einer sogenannten "klonalen Hämatopoese von unbestimmten Potenzial (CHIP)" können später ein MDS entwickeln. Die Anwesenheit einer MDS-assoziierten Variante allein ist daher nicht diagnostisch für ein MDS.

Bei den am häufigsten mutierten Genen in MDS handelt es sich umSF3B1, TET2, SRSF2, ASXL1, DNMT3A, RUNX1, U2AF1, TP53undEZH2. Die Bestimmung von TP53, ASXL1, RUNX1 und EZH2 bei niedrig- und intermediär-Risikopatienten ist aus prognostischen Gründen obligat.

Tab.: Molekulargenetische Veränderungen bei Patienten mit MDS


Literatur

Khoury et al. 2022, Leukemia, 36:1703 / Swerdlow, Campo, Harris, Jaffe, Pileri, Stein, Thiele (Eds), 2017, WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (Revised 4th edition), Chapter 6 / Arber et al. 2016, Blood 127:2391 / Gangat et al. 2016, Am J Hematol 91:76 / Ganguly et al. 2016, Mutat Res Rev Mutat Res 769:47 / Braulke et al. 2015, Haematologica 100:205 / www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/myelodysplastische-syndrome-mds/

V.a. oder Verlauf bei MDS

Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben

  • Diagnose/Verdachtsdiagnose: MDS (ICD-10 Code: [D46.-])
  • Auftrag: Zytomorphologie, Chromosomenanalyse, FISH-Analyse, MDS-Basispanel, MDS erweitertes Panel, Einzelmarker-Analyse (Nennung des Markers notwendig), humangenetisches Gutachten

Zytogenetische Analyse:
mind. 5 ml Heparin-Knochenmark, Im Verlauf der Erkrankung auch FISH-Analyse an CD34+ Zellen aus peripherem Blut möglich (15-20 ml Heparin- oder EDTA-Blut)

Molekulargenetische Analyse:
3 ml EDTA-Knochenmark

Zytomorphologie: 2-5 Tage
Chromosomenanalyse: 5-7 Tage
FISH-Analyse: 1 Tag
Panel/Einzelmarker-Analyse: ca. 5-7 Tage