Myelodysplastische Neoplasien (MDS)

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Kurzbeschreibung

Myelodysplastische Neoplasien (MDS) sind eine Gruppe heterogener myeloider Neoplasien, gekennzeichnet durch abnormale Differenzierung und Reifung myeloider Zellen, Knochenmarksstörungen und genetische Instabilität, die das Risiko einer Transformation in akute myeloische Leukämie (AML) erhöht. MDS manifestiert sich morphologisch durch Dysplasie und periphere Zytopenie(n) und kann de novo oder sekundär, insbesondere bei älteren Menschen, auftreten. Diagnostische Schlüsselmerkmale umfassen morphologische Dysplasie in mindestens 10% der Zellen einer Zellreihe und mindestens eine Zytopenie. MDS wird in Typen mit definierten genetischen Veränderungen (wie MDS-5q, MDS-SF3B1, MDS-biTP53) und morphologisch bestimmte Typen gruppiert, wobei zytogenetische und molekulargenetische Untersuchungen wesentlich für die Klassifizierung und Prognose sind.

Wissenschaftlicher Hintergrund

MDS repräsentieren eine heterogene Gruppe myeloider Neoplasien, die durch eine abnorme Differenzierung und Reifung myeloider Zellen, Störungen des Knochenmarks und eine genetische Instabilität mit erhöhtem Risiko für eine Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML) charakterisiert sind. Die ineffektive Hämatopoese manifestiert sich durch eine morphologische Dysplasie und durch periphere Zytopenie(n). MDS können sowohl de novo als auch nach Therapie oder sekundär auftreten und finden sich gehäuft bei älteren Menschen (Inzidenz bei über 70-jährigen 20-50:100.000/Jahr). Der Leitbefund ist meist eine Anämie, oft auch Bi- oder Panzytopenie. Während das Knochenmark oft normo- oder sogar hyperzellulär ist, sind ca. 10 % der Fälle hypozellulär. Diagnostisch wegweisend ist eine morphologische Dysplasie einer oder mehrerer Zellreihen, wobei mindestens 10% aller Zellen einer Zellreihe (erythroide Zellen, Neutrophile und ihre Vorläufer, Megakaryozyten) eindeutige Dysplasiezeichen aufweisen müssen. Eine Dysplasie von >10% kann jedoch auch bei einigen normalen Personen sowie bei nicht-neoplastischen Gründen einer Zytopenie auftreten, weshalb auch immer an eine reaktive Ursache gedacht werden sollte.  Zusätzlich sollte mindestens eine Zytopenie  (Hämoglobin <10 g/dL, Thrombozyten <100×109/L, absolute Neutrophilenanzahl <1.8×109/L) vorliegen. Zytomorphologisch sollte zudem eine möglichst exakte Bestimmung des peripheren und medullären Blastenanteils erfolgen. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des IPSS-R ist eine exakte Angabe des medullären Blastenanteils unter prognostischen Gesichtspunkten nötig (0-2% vs. 3-4% vs. 5-10% vs. 11-19%).

MDS werden nach MDS mit definierten genetischen Veränderungen und MDS, morphologisch bestimmt gruppiert.  Zu MDS mit definierten genetischen Veränderungen zählen MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) sowie isolierter 5q Deletion (MDS-5q), MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) und SF3B1-Variante (MDS-SF3B1) sowie MDS mit biallelischer TP53-Inaktivierung (MDS-biTP53). Dabei ersetzt das Vorliegen einer SF3B1- oder TP53-Variante (nicht Multi-Hit) nicht generell die Diagnose MDS-5q. MDS-SF3B1 enthalten >90% der MDS mit >= 5% Ringsideroblasten. Sollten >=15% Ringsideroblasten, aber keine SF3B1-Variante vorliegen, kann alternativ der Begriff MDS mit wenig Blasten und Ringsideroblasten verwendet werden. Pathogene TP53-Varianten (Sequenzvarianten, Deletionen, Kopienzahl-neutraler Verlust der Heterozygosität) können in 7-11% der MDS-Patienten detektiert werden, wobei etwa zwei Drittel der Patienten mehrere TP53-Varianten (Multi-Hit) aufweisen, die meist biallelisch vorliegen und zu einem Verlust des Wildtyp p53-Proteins führen. Liegt eine Varianten-Allel-Frequenz (VAF) >50% vor, kann, wenn eine Keimbahnvariante ausgeschlossen ist, von einem Kopienzahlverlust des anderen Allels oder eines Kopienzahl-neutralen Verlust der Heterozygosität ausgegangen werden. MDS-biTP53 haben>90% der Fälle komplexe, meist sehr komplexe Karyotypen und zählen daher zur Hochrisikogruppe im IPSS-R. MDS, morphologisch bestimmt werden in drei Hauptgruppen unterteilt: MDS mit wenig Blasten (<5% im Knochenmark und <2% im peripheren Blut) (MDS-LB) , hypoplastisches MDS (MDS-h) und MDS mit erhöhten Blasten (MDS-IB). Letztere unterscheiden sich in MDS-IB1 (5-9% im Knochenmark oder 2-4% im peripheren Blut), MDS-IB2 (10-19% im Knochenmark oder 5-19% im peripheren Blut oder Auer-Stäbchen) und MDs mit Fibrose (MDS-f)(10-19% im Knochenmark oder 5-19% im peripheren Blut).

Tab.: WHO-Klassifikation der myelodysplastischen Syndrome 2022

Blasten
Zytogenetik
Varianten
MDS mit definierten genetischen Anomalien
MDS mit niedrigem Blastenanteil und isolierter 5q-Deletion (MDS-5q)<5% KM und <2% PB5q-Deletion allein oder mit 1 weiteren Anomalie außer Monosomie 7 oder 7q-DeletionSF3B1
MDS mit niedrigem Blastenanteil und SF3B1-Variantea (MDS-SF3B1)<5% KM und <2% PBFehlen einer 5q-Deletion, einer Monosomie 7 oder eines komplexen KaryotypsZwei oder mehr TP53-Varianten oder 1 Variante mit Hinweis auf TP53-Kopienzahlverlust oder cnLOH
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a) Der Nachweis von ≥15% Ringsideroblasten kann eine SF3B1-Variante ersetzen. Akzeptable verwandte Terminologie: MDS mit niedrigen Blasten und Ringsideroblasten.
b) Definitionsgemäß ≤25% Zellularität im Knochenmark, altersangepasst.
KM Knochenmark, PB peripheres Blut, cnLOH kopienneutraler Verlust der Heterozygotie

 

Die Zytogenetik des Knochenmarks ist fester Bestandteil der MDS-Diagnostik, da zytogenetische Veränderungen wichtige Hinweise zur Klassifizierung, Prognose und Behandlung liefern können. Chromosomale Veränderungen können bei etwa der Hälfte der Patienten mit MDS und der Mehrheit der Patienten mit Therapie-assoziiertem oder sekundärem MDS detektiert werden. Zu den häufigsten Veränderungen bei Patienten mit MDS zählen interstitielle Deletionen im langen Arm von Chromosom 5 (5q-) (30%), Trisomie 8 (19%) und 7q– oder Monosomie 7 (15%). Dabei gilt die del(5q) als einzige zytogenetische Veränderung, die einen spezifischen MDS-Subtyp, MDS-5q, definiert. Zusätzlich spielt die Zytogenetik eine große Rolle im IPSS-R, der fünf zytogenetisch prognostische Gruppen aufweist:

  • Gruppe A: sehr gute Prognose (-Y, del(11q))
  • Gruppe B: gute Prognose (normaler Karyotyp, del(5q), del(12p), del(20q), Doppel-Klon mit del(5q) ohne Chromosom 7 Veränderung)
  • Gruppe C: intermediäre Prognose (del(7q), +8, +19, i(17q), andere Einzel- oder Doppel-Klone)
  • Gruppe D: schlechte Prognose (-7, inv(3)/t(3q)/del(3q), Doppel-Klon mit -7/del(7q), komplex (3 Aberrationen))
  • Gruppe E: sehr schlechte Prognose (komplex (>3 Aberrationen))

Die wichtigsten Veränderungen (z.B. Deletion 5q oder Trisomie 8) lassen sich mittels FISH nicht nur an Chromosomen, sondern auch an Interphasezellkernen nachweisen und können dadurch auch in kleineren Populationen von klonalen Tumorzelllinien detektiert werden. Zusätzlich ist bei ca. 5-20% der Patienten eine Chromosomenanalyse aufgrund einer Punctio sicca oder unzureichenden Anzahl an Metaphasen nicht verfügbar, so dass bei diesen Patienten eine FISH-Analyse für die häufigsten Veränderungen an CD34+ angereicherten Zellen des peripheren Blutes erfolgen kann.

Durch den Einsatz von Next-Generation-Sequencing (NGS) können in ca. 90% der MDS-Patienten wiederkehrende somatische Varianten detektiert werden. Dabei hat die Anzahl der gefundenen Varianten einen unabhängigen prognostischen Einfluß. Jedoch können sich diese erworbenen Varianten auch in den hämatopoetischen Zellen offenbar gesunder älterer Personen ohne MDS finden, sind aber mit einer geringeren Variantenlast von 10-20% vertreten. Einige dieser Personen mit einer sogenannten “klonalen Hämatopoese von unbestimmten Potenzial (CHIP)” können später ein MDS entwickeln. Die Anwesenheit einer MDS-assoziierten Variante allein ist daher nicht diagnostisch für ein MDS.

Bei den am häufigsten mutierten Genen in MDS handelt es sich umSF3B1, TET2, SRSF2, ASXL1, DNMT3A, RUNX1, U2AF1, TP53undEZH2Die Bestimmung von TP53, ASXL1, RUNX1 und EZH2 bei niedrig- und intermediär-Risikopatienten ist aus prognostischen Gründen obligat.

Tab.: Molekulargenetische Veränderungen bei Patienten mit MDS

Gen
~ Häufigkeit (%)
Prognose
Bemerkung
SF3B110-20günstighäufig bei MDS-RS (60-80%)
ASXL114-21ungünstigBlastenexzess, intermediäres Risiko IPSS, verkürztes Gesamtüberleben, erhöhtes AML-Risiko
TET215-27unklar, möglicherweise günstigassoziiert mit fortgeschrittenem Alter und normalem Karyotyp
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Literatur

letzte Aktualisierung: 3.11.2023