Polkörperdiagnostik (PKD) und Präimplantationsdiagnostik (PID)
Dr. rer. nat. Annett Wagner
Wissenschaftlicher Hintergrund
Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) werden Trophektodermzellen nach Befruchtung, aber vor Einnistung (Implantation) in die Gebärmutterschleimhaut untersucht. Die Polkörperdiagnostik (PKD) wird hingegen vor Abschluss der Befruchtung der Eizelle durchgeführt. Beide Verfahren werden im Rahmen einer künstlichen Befruchtung mittels intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) umgesetzt.

Reife Eizelle, die bereits 1. Polkörper enthält, wird durch Eindringen eines Spermiums künstlich befruchtet und es bildet sich der 2. Polkörper. Polkörperbiopsie (Entnahme des 1. und 2. Polkörpers) findet vor Verschmelzung der Vorkerne statt; Trophektodermzellen werden hingegen am Tag 5 nach der Befruchtung biopsiert.
Die Trophoblastbiopsie als Grundlage der eigentlichen PID erfasst sog. pluripotente (= nicht mehr totipotente) Zellen der embryonalen Hülle und damit sowohl das mütterlicheals auch das väterliche Erbgut. Drei bis Zehn Trophektodermzellen werden in der Regel am fünften Tag nach der Befruchtung entnommen.
Bei der Polkörperdiagnostik (PKD) werden die beiden Polkörper untersucht, mit denen die Eizelle nach dem Eisprung (erster Polkörper) bzw. nach dem Eindringen einer Samenzelle (zweiter Polkörper) bei der sog. Reife- oder Reduktionsteilung ihre ursprüngliche Chromosomenzahl von 46 (2 × 23) auf 23 (Chromatiden) reduziert. Dies ist erforderlich, da Ei- und Samenzelle ursprünglich 46 Chromosomen tragen, wie jede andere Körperzelle auch, die vor der Befruchtung jeweils auf den halben Chromosomensatz verringert werden muss, damit nach Verschmelzen der beiden Vorkerne von Eizelle und Samenzelle wieder der ursprüngliche doppelte Chromosomensatz für den sich entwickelnden Embryo vorliegt. Dabei erhält der Embryo die Hälfte seines Erbguts jeweils von Mutter und Vater. Die Untersuchung des Erbguts der Polkörper lässt Rückschlüsse auf das in der Eizelle verbliebende mütterliche Erbgut zu. Eine Beurteilung des väterlichen Erbguts ist mit dieser Untersuchung nicht möglich.
PGT-M – Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich einer monogenen Erkrankung
Einzelgenerkrankungen (monogene Erkrankungen) werden durch (wahrscheinlich) pathogene Varianten in einem Gen verursacht. Je nach Vererbungsmuster ist entweder ein Elternteil erkrankt oder ein bzw. beide Partner sind asymptomatische Anlageträger.
Präimplantationsdiagnostik (PID) hinsichtlich einer monogenen Erkrankung (PGT-M) kommt für Paare in Frage, bei denen ein erhöhtes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit bei Nachkommen besteht.
PGT-SR – Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich struktureller Chromosomenaberrationen
Dies sind z. B. balancierte Translokationen, d. h. ein Austausch von Chromosomenmaterial zwischen zwei Chromosomen, wobei es weder zu einem Zugewinn noch zu einem Verlust von Erbmaterial kommt. Eine balancierte Translokation kann unbalanciert weiter vererbt werden, d. h. dass es zu einem Zugewinn und/oder Verlust von Erbmaterial kommt.
Chromosomenstörungen auf Grund von unbalancierten Translokationen gehen meistens mit angeborenen Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen einher. Im Rahmen einer künstlichen Befruchtung können die Trophektodermzellen oder die Polkörper der jeweiligen Eizelle daraufhin untersucht werden, ob das Erbgut balanciert oder unbalanciert vorliegt.
Auch Inversionen (Drehung von Chromosomenanteilen um 180° im gleichen Chromosom) können unbalanciert an die Nachkommen vererbt werden und daher eine Indikation für die PID/PKD darstellen.
PGT-A – Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich Aneuploidien
Aneuploidien (Zugewinne bzw. Verluste ganzer Chromosomen) entstehen bei den anfangs genannten Reifeteilungen der Eizellen oder seltener auch der Samenzellen. Da die mütterlichen Eizellen von der Geburt bis zum Eisprung in einer empfindlichen Phase der Zellteilung ruhen, kommt es vermutlich durch einen Alterungsprozess des Zellteilungsapparates mit zunehmendem mütterlichen Alter häufiger zu solchen Fehlverteilungen. Man schätzt, dass etwa 20 % der Eizellen von 20- bis 25-jährigen Frauen, aber 70 % der Eizellen von 35- bis 40-jährigen Frauen solche chromosomalen Fehlverteilungen aufweisen. Dem zufolge treten Trisomien mit zunehmendem mütterlichen Alter häufiger auf, weshalb man ab einem Alter von 35 Jahren eine vorgeburtliche Diagnostik anbietet.
Die häufigsten Aneuploidien sind die Verdreifachung der Chromosomen 13, 18 und 21, die zur Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom (Trisomie 21), Edwards-Syndrom (Trisomie 18) bzw. Pätau-Syndrom (Trisomie 13) führen können. Weitere häufige Trisomien (Chromosomen 15, 16 und 22) sind mit einem längeren Überleben des Embryos nicht vereinbar; man findet diese Trisomien häufiger, wenn nach einer Fehlgeburt eine Chromosomenanalyse durchgeführt wird.
Wenn der numerische Fehler nicht in den Gameten vorliegt, sondern nach der Befruchtung während der Zellteilungen des sich entwickelnden Embryos entsteht (Mitose), kann es zur Mosaikbildung kommen. Über Mosaik-Aneuploidien wird gesprochen, wenn im Embryo zwei oder mehr Zellpopulationen entstehen (zum Beispiel: ein Teil der Zellen hat einen unauffälligen und ein anderer Teil einen numerisch auffälligen Chromosomensatz).
Indikationen für die Untersuchung sind daher:
- hohes Risiko eine monogene Erkrankung auf Nachkommen zu übertragen (PGT-M)
- strukturelle Aberration bei einem Elternteil (z. B. balancierte reziproke oder Robertson-Translokationen, Inversionen; PGT-SR)
- wiederholtes Implantationsversagen oder Fehlgeburten (PGT-A)
Bei der Indikationsstellung handelt es sich immer um Einzelfallentscheidungen.
Methoden
Diese Technik basiert auf der Quantifizierung der Erbsubstanz (DNA) von Trophoblastzellen (PID) oder der Polkörper (PKD) nach der Sequenzierung. Die NGS-Methode hat den Vorteil, dass in einem Untersuchungsgang der gesamte Chromosomensatz auf Imbalancen analysiert werden kann. Sowohl strukturelle Aberrationen (z. B. unbalancierte reziproke oder Robertson-Translokationen, Inversionen) als auch Aneuploidien (numerische Chromosomenaberration inkl. Mosaik-Aneuploidien) können nachgewiesen werden.

Vater und Mutter sind asymptomatische Anlageträger einer pathogenen Variante (rot). Das betroffene Kind hat von beiden das Gen mit der pathogenen Variante geerbt. In der Nähe der Variante werden individuell unterschiedliche DNA-Merkmale (Marker) bestimmt, in denen sich Vater und Mutter unterscheiden. Im Gegensatz zu dem direkten Nachweis (Untersuchung der Variante; in rot markiert), werden Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP-Marker, in weiß markiert) in direkter Nachbarschaft der Variante zuerst bei den Eltern und dem betroffenen Kind (oder anderen Familienangehörigen) analysiert. Während der Präimplantationsdiagnostik kann mittels Karyomapping indirekt durch den Nachweis der SNP-Marker-Kombination mit hoher Sicherheit auf Anwesenheit oder Abwesenheit der Variante bei den Embryonen geschlossen werden. Wo möglich, wird die pathogene Variante zusätzlich mit einer zweiten Methode untersucht (direkter Nachweis).
SNP-Array – indirekter Nachweis der Variante
SNP-Microarray-Technologie (Karyomapping) ist eine universell einsetzbare Methode für Präimplantationsdiagnostik (PID) zum indirekten Nachweis monogen vererbter Einzelgenerkrankungen. In der Vorbereitungsphase wird die Erbsubstanz (DNA) der ausgewählten Familienangehörigen auf dem SNP-Array hybridisiert um gekoppelte Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP-Marker) in direkter Nachbarschaft der Variante zu analysieren. Während der Präimplantationsdiagnostik kann indirekt durch den Nachweis der SNP-Marker-Kombination mit hoher Sicherheit auf Anwesenheit oder Abwesenheit der Variante bei den Embryonen geschlossen werden.
Minisequenzierung – direkter Nachweis der Variante
Wenn möglich, wird auch auf die in der Familie vorliegende (wahrscheinlich) pathogene Variante (sog. direkter Nachweis) untersucht um die diagnostische Sicherheit zu erhöhen. Der direkte Nachweis erfolgt mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) gefolgt durch Sequenzierung des fluoreszenz-markierten PCR-Produktes.
Die diagnostische Schwierigkeit bei PID und PKD liegt darin, dass für die Untersuchungen jeweils nur einzelne Zellen (Trophoblastzellen bzw. Polkörper 1 und 2) zur Verfügung stehen. Das bedeutet auch, dass ein Untersuchungsergebnis nicht an einer zweiten Probe oder mehreren Zellen überprüft werden kann. Da die diagnostische Sicherheit in diesen Systemen trotz größtmöglicher Sorgfalt nicht bei 100 % liegen kann, wird nach Durchführung einer PID bzw. PKD grundsätzlich eine Pränataldiagnostik durch Fruchtwasserpunktion zur Bestätigung des Resultats empfohlen, wenn eine Schwangerschaft eintritt.
Durchführung von PID bzw. PKD
Beide Verfahren setzen eine sehr enge Kooperation zwischen dem Kinderwunschzentrum und dem durchführenden humangenetischen Labor voraus und werden nur nach vorheriger Rücksprache bzw. die PID nur nach dem im PräimpG festgelegten Ablauf (s.u.) durchgeführt. Für beide Verfahren muss im Vorfeld eine genetische Beratung bzw. ein medizinisches Vorgespräch erfolgen, bei dem festgestellt wird, ob für die vorliegende Anlage bzw. Erkrankung eine PID bzw. PKD technisch möglich ist: in seltenen Fällen kann ein solches Untersuchungssystem nicht etabliert werden.
Das Präimplantationsgesetz (PräimpG) sieht neben dem medizinischen Vorgespräch für jedes Paar auch eine Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen vor und schließlich ein positives Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommission, ohne das die Untersuchung nicht durchgeführt werden darf. Außerdem ist die Durchführung dieser Untersuchung nur in lizenzierten PID-Zentren erlaubt. Diese Bestimmungen gelten nicht für die PKD.
PID und PKD sind derzeit nicht Bestandteil der Regelversorgung; die Kosten müssen daher von den Paaren selbst getragen werden. Dies gilt nicht für die genetische Beratung im Vorfeld der Diagnostik; diese zählt zu den Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkassen.
Literatur
ESHRE PGT Consortium Steering Committee, Hum Reprod Open 2020:1-12 / ESHRE PGT-M Working Group, Hum Reprod Open 2020:1-18 / ESHRE PGT-SR/PGT-A Working Group, Hum Reprod Open 2020:1-20 / De Rycke et al. 2017, Hum Reprod 32:1974 / Gesetz zur Ausführung der Präimplantationsdiagnostikverordnung (BayAGPIDV) vom 17. Dezember 2014 (GVBl S.542) BayRS 453-2-G / Präimplantationsdiagnostikgesetz: Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PräimpG) vom 21. November 2011 (Bundesgesetzblatt 2011 I, 2228) / Präimplantationsdiagnostikverordnung: Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PIDV) vom 21. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 I, 323)
Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich
struktureller Chromosomenaberrationen & Aneuploidien (PGT-SR/-A)
Informationsbroschüre
Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich monogener Erkrankungen (PGT-M)
Informationsbroschüre
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PID-Zentrum Martinsried
Seit dem 30. Juni 2015 ist das MVZ Martinsried unter Leitung von Frau Dr. Imma Rost ein vom Bayerischen Staatsministerium zugelassenes Zentrum für Präimplantationsdiagnostik (PID). Seit 1. April 2022 wird das Zentrum für PID unter der Leitung von Dr. Konstanze Hörtnagel fortgeführt. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite PID-Zentrum Martinsried & PID in Deutschland.