Alpha-Thalassämie

Dipl.-Biol. Birgit Busse, Dipl.-Biol. Wolfgang Rupprecht

Wissenschaftlicher Hintergrund

alpha Thalassämie Karte

Die Alpha-Thalassämie beruht auf einer quantitativen Störung der α-Globinketten-Synthese. Durch das Defizit an α-Globinketten kommt es zur Bildung von Überschusshämoglobinen, die maßgeblich am Krankheitsbild der Alpha-Thalassämie beteiligt sind. Wie andere Hämoglobinopathien auch, tritt die Erkrankung gehäuft in Ländern auf, in denen Malaria endemisch ist und wird deshalb mit einer gewissen Resistenz gegenüber Plasmodien in Verbindung gebracht. Besonders häufig findet man die Alpha-Thalassämie in Völkern Asiens, Arabiens und Afrikas sowie den Mittelmeerländern (siehe Karte zur Prävalenz der Alpha-Thalassämie).

Die häufigste molekulargenetische Ursache für eine Alpha-Thalassämie ist die Deletion eines oder mehrerer α-Globin-Gene. Da in der normalen menschlichen Zelle der α-Globin-Genkomplex aus 4 α-Globin-Genen besteht (je ein HBA1- und ein HBA2-Gen auf jedem Chromosomen 16), ist der Schweregrad des Krankheitsbildes abhängig von der Anzahl der deletierten α-Globin-Gene. In seltenen Fällen können auch Punktmutationen bzw. kleinere Deletionen und Insertionen in den α-Globin-Genen für eine Alpha-Thalassämie ursächlich sein.

Tab.: Einteilung der Alpha-Thalassämie in 4 Schweregrade:
α-ThalassämieGenotypPhänotypHämatologieHb-Differenzierung
Minima-α/ααunauffälligHypochromie und /
oder Mikrozytose,
selten mit Anämie
unauffällig
Minor-α/-α
--/αα
meist unauffälligHypochromie, Mikrozytose,
häufig mit Anämie
unauffällig
HbH-Krankheit--/-αsehr variabelhypochrome,
hämolytische Anämie
HbH bis zu 40%
(altersabhängig)
Hb Bart´s-Krankheit
(Hb-Bart´s Hydrops
fetalis-Syndrom)
--/--Hydrops fetalisschwere hypochrome,
mikrozytäre Anämie
Hb Bart´s >80%

Die meisten Träger einer Alpha-Thalassämie werden zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt. Im Blutbild fällt eine Mikrozytose und/oder eine Hypochromie - teilweise auch ein erniedrigter Hb-Wert - auf. Im Rahmen der Diagnostik sollte zuerst ein Eisenmangel durch die Bestimmung des Serum-Ferritins ausgeschlossen werden, der die häufigste Ursache einer mikrozytären hypochromen Anämie darstellt. Im Vorfeld kann bereits durch die Huber-Herklotz-Formel abgeschätzt werden, ob es sich eher um eine Eisenmangelanämie oder eine Alpha-Thalassämie handelt.

Formel zur Unterscheidung zwischen Eisenmangelanämie und Alpha-Thalassämie (anwendbar nur bei MCH <27 pg):

Huber-Herklotz-Wert:
Interpretation:

MCH = mittlere korpuskuläre Hämoglobin
RDW-SD = Erythrozytenverteilungsbreite (EVB) Standardabweichung
RBC = Erythrozyten (ERY)


Ist ein Eisenmangel ausgeschlossen, kann durch eine Hb-Differenzierung das Vorliegen einer Hämoglobinopathie untersucht werden. Häufig stellt sich die Frage nach der Anlageträgerschaft einer Hämoglobinopathie erst im Rahmen eines Kinderwunsches, entweder aufgrund einer positiven Familienanamnese oder durch die ethnische Herkunft. Bei einer bereits bestehenden Schwangerschaft ist eine zügige Diagnostik wichtig, um so früh wie möglich das Risiko einer schweren Form einer Hämoglobinopathie bei Nachkommen abschätzen zu können. Die detaillierte diagnostische Vorgehensweise zur allgemeinen Diagnostik von Hämoglobinopathien und zur Vorgehensweise bei Paaren mit Kinderwunsch ist in den folgenden interaktiven Flussdiagrammen dargestellt.

Thalassämie FlussdiagrammFlussdiagramm zur allgemeinen Diagnostik von Hämoglobinopathien.
Thalassämie FlussdiagrammFlussdiagramm zur Diagnostik von Hämoglobinopathien bei Paaren mit Kinderwunsch.
Auffälliges Blutbild mit Mikrozytose und/oder Hypochromie und ggfs. AnämieBestimmung von Serum-Ferritin*zum Ausschluss eines EisenmangelsSerum-Ferritinerniedrigt?EisenmangelanämieEisensubstitutionHb-DifferenzierungHbA2 erhöht(HbF ggfs. erhöht)Hämoglobin-AnomalieBesteht weiterhinAnämie?3-6 Monate Fe-SubstitutionErnährungsberatungMolekulargenetischeUntersuchung aufβ-Thalassämie(HBB-Gen und ggfs. β-Globin-Genkomplex)MolekulargenetischeUntersuchung aufα-Thalassämie(α-Globin-Genkomplex,und ggfs.HBA1- und HBA2-Gen)MolekulargenetischeUntersuchung aufdie entsprechendeHb-Anomalie(HBB-Gen oder HBA1-, HBA2-Gen oderβ-Globin-Genkomplex)JaNeinJaNeinunauffälligHbA2 normalHbF erhöhtMolekulargenetischeUntersuchung aufδ-β-Thalassämie / HPFH (β-Globin-Genkomplex oder Promotorregion der γ-Globin-Gene)Kinderwunsch bei Paar mit entsprechender ethnischer Herkunft und/oder positiver FamilienanamneseBestimmung von Serum-Ferritin, kleines Blutbild und Hb-DifferenzierungEisenmangelanämieEisensubstitutionBesteht weiterhinAnämie?3-6 Monate Fe-SubstitutionErnährungsberatungNeinMCV und/oder MCH erniedrigt Ferritin normalHb-Differenzierung unauffälligV.a. α-ThalassämieMolekulargenetische Untersuchung des α-Globin-Genkomplexes und/oder des HBA1-und HBA2-GensMCV und/oder MCH erniedrigt Ferritin erniedrigtHb-Differenzierung unauffälligMCV und/oder MCH erniedrigt Ferritin normalHbA2 erhöhtMCV und/oder MCH erniedrigt Ferritin normalanomales HämoglobinV.a. β-ThalassämieMolekulargenetische Untersuchung des HBB-Gens und ggfs. desβ-Globin-GenkomplexesV.a. HbS, HbC, HbE, HbCS, Hb Lepore etc.Je nach Ergebnis derHb-DifferenzierungUntersuchung des HBB- und/oder HBA1/2-Gens bzw. des β-Globin-GenkomplexesAnlageträgerschaft fürHämoglobinopathie mit hoher WahrscheinlichkeitausgeschlossenAlle Parameter bei beidenPartnern unauffällig?MCV und/oder MCH erniedrigt Ferritin normalHbA2 normal HbF erhöhtV.a. δ-β-Thalassämieoder HPFHMolekulargenetische Untersuchung des des β-Globin-Genkomplexesund/oderder Promotorregion derγ-Globin-GeneBei Nachweis einer α-Thalassämiegenetische Beratung undggfs. molekulargenetischeUntersuchung des PartnersBei Nachweis einer β-Thalassämiegenetische Beratung undggfs. molekulargenetischeUntersuchung des PartnersBei Nachweis einer δ-β-Thalassämie / HPFHgenetische Beratung undggfs. molekulargenetischeUntersuchung des PartnersBei Nachweis einesanomalen Hämoglobinsgenetische Beratung undggfs. molekulargenetischeUntersuchung des PartnersNeinJaJa

Da Hämoglobinopathien in den verschiedenste Kombinationen auftreten können, sollten die hämatologischen Befunde immer mit den Ergebnissen aus der Molekulargenetik abgeglichen und auf Validität geprüft werden.

Literatur

Origa R, Moi P. Alpha-Thalassemia. 2005 Nov 1 [Updated 2016 Dec 29]. In: Adam MP, Ardinger HH, Pagon RA, et al., editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993-2019 / Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. S1-Leitlinie: Thalassämie. 30.06.2016 / Kohne et Kleihauer 2010, Dtsch Arztebl Int 107:65 / Weatherall et Clegg 2001, The Thalassaemia Syndromes, 4th ed. Oxford: Blackwell Science / Kleihauer et al. 1996, Anomale Hämoglobine und Thalassämiesyndrome, ecomed Verlag

V.a. und DD α-Thalassämie

Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben

  • Diagnose: Alpha-Thalassämie
    (ICD-10 Code: [D56.0])
  • Auftrag:
    Hämatologie: Blutbild, Hb-Differenzierung
    und/oder
    Molekulargenetik: Mutationssuche alpha-Globin-Genkomplex, HBA1- und HBA2-Gen

Hinweis:
Schriftliche Einwilligungserklärung gemäß GenDG erforderlich

Hämatologie: 5 ml EDTA-Blut
Molekulargenetik: 1 ml EDTA-Blut

Hämatologie: 1 Woche
Molekulargenetik: 2-4 Wochen

Hämatologie: Blutbild, Hb-Differenzierung