Rett-Syndrom, atypisch, frühkindliche Epilepsie
Dr. rer. biol. hum. Soheyla Chahrokh-Zadeh, M. Sc. Anna Munzig
Wissenschaftlicher Hintergrund
Das atypische Rett-Syndrom wurde erstmals 1985 bei einem Mädchen mit BNS-Krämpfen und mit einer im späteren Verlauf dem klassischen Rett-Syndrom sehr ähnlichen Klinik beschrieben. Die bisher beschriebenen Patienten sind hauptsächlich durch eine früh einsetzende therapieresistente Epilepsieund im späteren Verlauf durch eine schwere psychomotorische Entwicklungsretardierung gekennzeichnet. Neben den BNS-Anfällen kommen auch andere Anfallsformen vor; das EEG ist nicht typisch, sondern abhängig von Alter und der Anfallsform. Anders als beim Rett-Syndrom gibt es keine Anfangsphase mit scheinbar normaler Entwicklung.
Die diagnostischen Kriterien nach Artuso et al. (2010) sind:
- unauffällige pränatale Entwicklung
- Reizbarkeit, Vigilanzstörung und Saugschwäche in der frühen postnatalen Phase vor Beginn der ersten epileptischen Anfälle
- frühkindliche Epilepsie mit Beginn zwischen der ersten Woche und dem fünften Monat
- stereotype Handbewegungen
- schwere psychomotorische Entwicklungsretardierung
- schwere Hypotonie
Seit 2005 ist bekannt, dass Varianten im CDKL5-Gen (Xp22) für dieses X-chromosomal-dominante, atypische Rett-Syndrom ursächlich sind. Das CDKL5-Gen kodiert für das Cyclin Dependent Kinase-like 5 Protein, das zusammen mit dem Methyl-CpG-Binding Protein 2 (MECP2) eine wichtige Rolle in der Regulation der Genexpression durch Methylierung spielt. Pathogene Varianten im CDKL5-Gen führen zur fehlerhaften Regulierung der Expression von verschiedenen Genen.
Desweiteren konnten später bei weiblichen und männlichen Patienten mit einer "kongenitalen Variante" des Rett-Syndroms bzw. auch bei Patientinnen mit Symptomen eines klassischen Rett-Syndroms (ohnepathogene MECP2-Variante) pathogene Varianten im FOXG1-Gen nachgewiesen werden. Patienten mit pathogenen FOXG1-Varianten zeigen u.a. eine mit schwerer Entwicklungsstörung einhergehende variable Klinik. In Genotyp-Phänotyp-Studien konnte gezeigt werden, dass bei dieser Patientengruppe immer eine schwere Mikrozephalie (-4 bis -6 Standardabweichungen) vorliegt.
Das FOXG1-Genprodukt ist ein Transkriptionsrepressor, der in Neuronen-Vorläuferzellen des sich entwickelnden Neuroepithels exprimiert wird. Aus bisher erhobenen Daten kann vorhergesagt werden, dass eine FOXG1-Haploinsuffizienz zu Mikrozephalie, einem dünnen Cortex mit abnormaler kortikaler Architektur und damit zu kognitiven und Entwicklungsdefiziten führt.
Literatur
Olson et al. 2019, Pediatr Neurol. / Mitter et al. 2018, Genet Med 20:8 / Takahashi et al. 2018, J Pediatr Epilepsy 07:001 / Allou et al. 2012, Eur J of Hum Genet 20:1216 / Kortüm et al. 2011, J Med Genet 48:396 / Artuso et al. 2010, Brain Dev 32:17 / Saletti et al. 2009, Am J Med Genet A 149A:1046 / Grosso et al. 2007, Brain Dev 29:239 / Bertani et al. 2006, J Biol Chem 42:32048 / Archer et al. 2006, J Med Genet 43:729 / Scala et al. 2005, J Med Genet 42:103 / Weaving et al. 2004, Am J Hum Genet 75:1079 / Goutieres et al. 1986, Am J Med Genet Suppl 1:183 / Hanefeld 1985, Brain Dev 7:320
Untersuchungsauftrag A1
Humangenetik / Transfusionsmedizin / Pathologie
(8 Seiten, DIN A4)
Kinder mit frühkindlicher Epilepsie und Rett-Syndrom ähnlicher Klinik, Mütter von betroffenen Kindern mit nachgewiesener pathogener Variante
Ü-Schein Muster 10 mit folgenden Angaben
- Diagnose: Rett-Syndrom atypisch/kongenitale Variante
(ICD-10 Code: [F84.9]) - Auftrag:
- Stufe I: Mutationssuche und MLPA-Analyse CDKL5-Gen
- und/oder
- Stufe II: Mutationssuche und MLPA-Analyse FOXG1-Gen
Hinweis:
Schriftliche Einwilligungserklärung gemäß GenDG erforderlich
1ml EDTA-Blut
Stufe I: 3 Wochen
Stufe II: weitere 3 Wochen