Methoden & Technologien

Klassische Chromosomenanalyse
Postnataldiagnostik

Die klassische Chromosomenanalyse im Rahmen der Postnataldiagnostik gehört zu den wichtigsten Basisuntersuchungen einer genetischen Analytik und umfasst die Untersuchung von kultivierten, peripheren Blutlymphozyten und Abortgewebe. Bei folgenden Indikationen ist eine Chromosomenanalyse ggf. in Kombination mit einer genetischen Beratung sinnvoll:

  • Neugeborene mit angeborenen Fehlbildungen
  • Kinder mit Entwicklungsretardierung und/oder Verhaltensauffälligkeiten
  • Verwandte von Personen mit strukturellen Chromosomenanomalien
  • Männer mit kleinen Testes und/oder Gynäkomastie
  • Neugeborene mit Hypospadie oder intersexuellem Genitale
  • V. a. chromosomales Syndrom (z.B. Down-, Cri-du-Chat-, Prader-Willi-Syndrom)

Reproduktionsgenetik (Kinderwunschpaare)

  • Paare mit unerfülltem Kinderwunsch vor Durchführung einer IVF oder ICSI
  • Paare mit zwei oder mehr Spontanaborten oder Totgeburten
  • Verwandte von Personen mit strukturellen Chromosomenanomalien
  • Frauen mit primärer bzw. sekundärer Amenorrhoe oder prämaturer Menopause
  • Männer mit Azoo- oder Oligozoospermie
  • Männer mit kleinen Testes und/oder Gynäkomastie

Standard-Untersuchungsmaterial sind 2-5 ml Natrium- oder Lithium-heparinisiertes Vollblut, die Befundung erfolgt innerhalb von 2-3 Wochen, in dringenden Fällen innerhalb 1 Woche. Die Untersuchung von Abortgewebe dient vor allem der Abklärung der Abortursache und der Risikoeinschätzung für nachfolgende Schwangerschaften. Neben dem Plazentagewebe sollten auch fetales Gewebe wie z.B. Haut, Nabelschnur oder Fascia lata in steriler physiologischer Kochsalzlösung eingesendet werden. Die Auswertung aller Zellkulturen erfolgt nach Erstellung und Anfärbung von Chromosomenpräparaten. Hierzu reichert man zunächst Zellen, die sich in der Zellteilung befinden, durch Zugabe des Spindelfasergiftes Colchizin an. Anschließend unterzieht man die Zellen einer bestimmten Behandlung (hypotoner Schock, Fixierung) und tropft die Zellsuspension auf Objektträger auf. Nach Färbung der Präparate (GTG-Färbung) erfolgt die Auswertung am Mikroskop sowie mittels digitaler Image-Verfahren am Computer-Monitor.

Chromosomale Aberrationen sind für 0,5-1% aller angeborenen Fehlbildungen verantwortlich. Generell versteht man unter Chromosomenaberrationen Veränderungen, die unter dem Lichtmikroskop sichtbar sind. Sie betreffen entweder die Zahl der Chromosomen (numerische) oder ihre Struktur (strukturelle Chromosomenaberrationen). Findet man eine Chromosomenaberration in allen Körperzellen, so spricht man von einer konstitutionellen Störung, sind nur bestimmte Körperzellen betroffen, von einer somatischen Störung.

Symptom / Störung
Relative Häufigkeit
Fehlgeburten / Totgeburten
    Fehlgeburten 5.-11. SSW
    Fehlgeburten 12.-24. SSW
    Fehlgeburten > 24. SSW
Gesamt ca. 30%
50%
25%
5%
Angeborene komplexe Fehlbildungen4-8%
Angeborene Herzfehler13%
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Trisomie 21
(Down-Syndrom)
Trisomie 18
(Edwards-Syndrom)
Trisomie 13
(Pätau-Syndrom)
Karyotyp47,+2147,+1847,+13
HäufigkeitHäufigkeitHäufigkeit
Freie Trisomie92 %80 %75 %
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Ullrich-Turner-Syndrom
Triplo-X-Syndrom
Klinefelter-Syndrom
Diplo-Y-Syndrom
Karyotyp45,X
55% 45,X;
45% Mosaike und
Strukturanomalien
47,XXX
98% 47,XXX;
2% Mosaike
47,XXY
80% 47,XXY;
20% andere X-Polysomien
oder Mosaike
47,XYY
Hauptsächlich reine
47,XYY; daneben X- und
Y-Polysomien
Häufigkeit1:2.500 weibliche
Neugeborene
1:100 Konzeptionen
1:1.000 weibliche
Neugeborene
1:1.000 - 1:500 männliche
Neugeborene
1:1.000 männliche
Neugeborene
PhänotypMinderwuchs, primäre
Amenorrhoe,
Stranggonaden,
IQ normal
Sehr variabel
(2/3 der Fälle ohne klaren
Phänotyp),
z.T. Großwuchs,
z.T. IQ unterer
Normbereich - subnormal
Hochwuchs, Gynäkomastie,
Hypogonadismus,
Azoospermie, IQ ca. 10
Punkte unter Familien-
durchschnitt
Hochwuchs, normale
Fertilität, IQ normal bis
leicht subnormal, evtl.
emotionale Störungen
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Strukturelle Chromosomenaberrationen entstehen durch einen oder mehrere Brüche und einer dadurch bedingten Neuorganisation entweder innerhalb eines Chromosoms (intrachromosomal) oder zwischen mehreren Chromosomen (interchromosomal). Der Chromosomensatz, der durch die Neuorganisation entsteht, kann balanciert (ohne Verlust und/oder Zugewinn von chromosomalem Material) oder unbalanciert (mit Verlust und/oder Zugewinn) sein. Während balancierte Chromosomensätze in den meisten Fällen ohne klinische Symptomatik einhergehen, führen unbalancierte Rearrangements in der Regel zum Bild eines chromosomalen Syndroms mit der klassischen Symptomentrias: psychomotorische Retardierung, kraniofaziale Dysmorphiezeichen und Fehlbildungen innerer Organe. Die phänotypische Ausprägung und der Schweregrad sind hierbei sehr variabel und können in der Regel nicht prognostiziert werden.

Die wichtigsten strukturellen Aberrationen sind:

Reziproke Translokation: Hierbei handelt es sich um je ein Bruchereignis in 2 Chromosomen mit gegenseitigem Austausch der azentrischen Fragmente. Bei den betroffenen Patienten können in der Meiose je nach Auftrennung der Chromosomen Gameten mit unbalancierten Chromosomensätzen entstehen, wodurch ein Risiko für klinisch auffällige Nachkommen oder Fehlgeburten besteht. Die Häufigkeit bei Neugeborenen beträgt ca. 1:700 (500-1.000)

Robertsonsche Translokation: Bedingt durch je einen Bruch in 2 akrozentrischen Chromosomen (Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22) im Bereich der Zentromerregion verschmelzen die beiden zentrischen Fragmente miteinander, wobei in diesen Fällen kompensierbare, azentrische p-Arm-Fragmente verloren gehen, deren Verlust nach heutigem Kenntnisstand keine klinischen Auswirkungen hat. Je nach Verteilung der Chromosomen in der Meiose können Gameten mit unbalancierten Chromosomensätzen entstehen. Die wichtigste Robertsonsche Translokation ist die Translokationstrisomie 21 („erbliches“ Down-Syndrom). Die Häufigkeit bei Neugeborenen liegt bei ca. 1:1.000.

Deletion: Verlust eines Chromosomensegments, entweder am Ende (terminale Deletion) oder innerhalb eines Chromosoms (interstitielle Deletion). Die bekanntesten Deletionssyndrome sind das Cri-du-Chat- (Deletion 5p-) und das Wolf-Hirschhorn-Syndrom (Deletion 4p-). Die Häufigkeit von Deletionen liegt bei ca. 0,9:10.000 Neugeborene

Inversion: Eine Inversion entsteht durch zwei Brüche in einem Chromosom mit einer 180°- Drehung des Segmentes zwischen den Bruchstellen. Liegt das Zentromer innerhalb dieses Segments, spricht man von einer perizentrischen Inversion, im anderen Fall von einer parazentrischen Inversion. Bedingt durch Rekombinationsereignisse während der Meiose können im Falle der perizentrischen Inversion Gameten mit unbalancierten Chromosomensätzen entstehen. Häufigkeit bei Neugeborenen: ca. 1,3:10.000.

Insertion: Hierbei handelt es sich um den Einbau eines Chromosomensegmentes an eine andere Stelle des Genoms.

Duplikation: Verdopplung eines Chromosomenabschnittes.

Ringchromosom: Ringchromosomen entstehen durch Verlust der Chromosomenenden und Fusion der beiden Bruchstellen.

Markerchromosom: Hierbei handelt es sich um ein zusätzliches, strukturell verändertes Chromosom, dessen Herkunft in den meisten Fällen nur mit Spezialmethoden (M-FISH oder Array-CGH) aufgeklärt werden kann. Neu entstandene Markerchromosomen, deren chromosomale Herkunft nicht geklärt ist, stellen vor allem für die Pränataldiagnostik ein großes Problem dar, da nur sehr vage Aussagen bezüglich einer eventuellen klinischen Symptomatik gemacht werden können. Häufigkeit bei Neugeborenen (inkl. Mosaike) ca. 3:10.000.

Pränataldiagnostik

Die wichtigsten invasiven pränataldiagnostischen Methoden umfassen die Chromosomenanalyse aus Chorionzotten, Amnionzellen und Nabelschnurblut (Cordozentese). Die eingesetzte Methode richtet sich nach der jeweiligen Fragestellung.

Eine Chorionzottenbiopsie (CVS) kann bereits ab der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) durchgeführt werden. Hierbei werden meist transabdominal unter Ultraschallkontrolle 10-30 mg Chorionzottengewebe entnommen. Aus diesem Gewebe werden eine Direktpräparation (Ergebnis spätestens am darauffolgenden Tag) oder eine Kurz- (Ergebnis nach 1 Tag) sowie eine Langzeitkultur (1-2 Wochen) angefertigt. Das Abortrisiko nach CVS liegt in erfahrenen Zentren bei ca. 0,1%. Die Amniozentese (AC) erfolgt als Frühamniozentese in der 13.-15. Schwangerschaftswoche (SSW) und als klassische AC in der 15.-17. SSW. Unter Ultraschallkontrolle werden transabdominal mit einer feinen Nadel 10-20 ml Fruchtwasser entnommen. Aus den Fruchtwasserzellen werden mehrere Langzeitkulturen angelegt, deren Auswertungsergebnis nach etwa 2 Wochen vorliegt. Das Abortrisiko liegt bei ca. 0,1%, bei der Früh-AC etwas höher. Die Cordozentese kann erst ab der 20. SSW durchgeführt werden, das Ergebnis liegt innerhalb einer Woche vor. Das Abortrisiko bei der Cordozentese wird mit 0,5-1% angegeben.

Tumorzytogenetik

Da neoplastische Zellen häufig durch spezifische, chromosomale Aberrationen gekennzeichnet sind, ist die Chromosomenbänderungsanalyse in der Leukämie- und Lymphomdiagnostik trotz vieler neuer labodiagnostischer Verfahren immer noch als Goldstandard anzusehen. Der Nachweis grobstruktureller Veränderungen spielt sowohl für die Erstdiagnose als auch für den weiteren Verlauf der Erkrankung und die WHO-Klassifikation eine wichtige Rolle (siehe Molekulare Onkologie/Pathologie).